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Blickpunkt Poblenou – Ein inspirierendes Quartier von Barcelona

Poblenou, Identität unter ständigem Wandel

Poblenou ist ein Stadtviertel von Barcelona. Stadtgeschichtlich gesehen nimmt es eher eine Randlage ein, da es nicht zu dem historischen Stadtkern der Stadt zählt. Vielleicht deshalb war es solch einschneidenden urbanistischen  Veränderungen ausgesetzt.

Auf der einen Seite war da das kleinbürgerliche und Arbeiterviertel, ein bisschen provinziell.  Und dann gab es  ein riesiges Dienstleistungsgebiet durchsetzt mit kleinem Handwerk, Manufakturbetrieben jeder Art und industriellen Produktionsstätten.

Viele Fabriken und Lagerhallen vom Beginn des letzten Jahrhunderts sind sichtbare  Zeitzeugen dieser industriellen und gewerblichen Vergangenheit.

Hiermit wurde auch der Grundstein gelegt für die moderne Zeit dieses Viertels.   Hier zeigen wir Euch in den folgenden Bildern die Veränderung, die dieser Stadtbezirk  seitdem durchgemacht hat.

Wer sich heute hier umsieht, entdeckt ein Flanierviertel der anderen Art, wo Kontraste vorherrschen. Nicht glatt gebügelt, auf keinen Fall boutique, sondern schroff und oft schockierend gegensätzlich. Vielleicht deshalb so spannend und einmalig.

Die Superilles - Mobilität gegen den Strich gebürstet

In diesem Viertel hat alles angefangen.  Die nun auch international gefeierten und vielerorts nachgeahmten „Superilles“, die sogenannten Superblocks begannen hier in Poblenou ihren Siegeslauf. 

Eine Idee wurde Realität, die dem Autoverkehr den Platz verwies und den Menschen der Nachbarschaft und ihren Besuchern den öffentlichen Raum wieder zurückgab.   Inzwischen kann dieses Modell auch in anderen klassischen Stadtvierteln Barcelonas wie Sant Antoni und L’Eixample studiert werden. 

Stadtentwickler und Verkehrsexperten aus vielen Ländern applaudierten diese Initiative als wegweisend. Großstädte wie Berlin betreiben  Nachahmung in ihren Kiezen.

Neue Inhalte in alten Gefäßen

Poblenou das Silikon Valley von Barcelona zu nennen, ist auf keinen Fall daneben gegriffen. Wobei bei näherem Hinsehen hier andere Akzente gesetzt werden. Innovation verbunden mit Nachhaltigkeit, Start-Ups aber mit sozialer Verantwortung, Unternehmen und auch mit öffentlichen Geldern geförderte Forschungsstätten, die auf zirkulare und klimaneutrale Produktionen setzen. 

Wo ehemals Industrie und maschinelle Produktion vorherrschten, haben sich nun Initiativen mit neuen Ideen eingenistet. Überall wird geforscht, ausprobiert, experimentiert und entwickelt.  Unter dem Namen Distrikt 22@ haben die alten Gemäuer der neuen Tech und IT Welt einen Platz verschafft. Lofts, Fabriketagen und ganze riesige Werkhallen geben den Raum  für die kreativen Denkfabriken. Und überall dazwischen unzählige kleine Cafés, Plätze, Hinterhöfe, kommunale Gärten und Clubs, die auch das soziale Leben befeuern.

Ernährung,Innovation und Nachhaltigkeit

Eine Vielzahl von Cafés, Restaurants, kleinen Läden  und Einkaufsgemeinschaften geben den sozialen Humus für einen verantwortungsvollen Konsum. Hier in diesem Viertel finden Sie ohne Probleme all diese Anlaufstellen. Und wenn Sie etwas nicht finden, dann können Sie trotzdem sicher sein, dass gerade ein paar Leute in dem Sinne in einem Hinterhof oder Souterrain etwas aushecken.  

Da liegt es nahe, dass auch im Ernährungssektor  Wissenschaft und Unternehmergeist neue Wege gehen. Ob es vegane Käsesorten sind oder Pflanzen, die im Laboratorium klimaneutral und ökologisch gezüchtet werden, um Land und Stadt miteinander zu versöhnen.

In der Gastronomie ist bio und regional Trend

“Proximitat” – Regionalität ist in Katalonien schon lange ein viel genutztes Unterscheidungsmerkmal in der Gastronomie. Man kann von einem Dreigestirn sprechen, der Bewegung Slow Food, Bio und Regionalität.  In der Auswahl des Produktes spielen diese drei Begriffe eine zentrale Rolle in Restaurants und Bars, die im Trend liegen. 

Besonders das Wort regionale und lokale Küche wird überall verwandt, und es heißt aufpassen, wo es nur Trittbrettfahrer sind oder wo es sich um authentische Überzeugungstäter handelt. Von den Zweiten gibt es aber so viele, dass nicht umsonst auch die Produzenten, die Bauern, die lokalen Märkte  einen Wettlauf begonnen haben um den Konsumenten und deren Küche nachhaltig umzuwandeln. 

Foto:  die Köche des kleinen Restaurants “Market Cuina Fresca”.                                            ©michael statsmann

Brotzeit im Poblenou

Die Vielfalt und Lebendigkeit eines Quartiers definiert sich auch durch den Reichtum  an Backwaren, an Broten, an Gebäck jeder Art, an Konditoreien und Brotbackstuben. Poblenou ist in diesem Sinne ein klassisches Viertel von Barcelona, wo sich eine Breite des Angebots vorfindet, die kaum zu übertreffen ist.  Ob regionale  Spezialitäten oder auch andere kulinarische überwiegend mediterrane Einflüsse wie die griechische oder französische,  die italienische Backkultur, all dies auch oft genug in Bio Qualität und mit einer enormen handwerklichen Kenntnis  in dieser Neigbourhood vertreten.

Das Pa de Pagès, das typische rustikale Bauernbrot, finden Sie in allen Bäckereien. Vergleichen Sie und entscheiden Sie, welches Ihnen am Besten schmeckt.

Auf Spaziergängen durch das Viertel gibt es viel zu entdecken.......

Das populäre Herzstück des Viertels sind die Carrer Marià Aguiló und die Ramblas de Poblenou. 2 Straßenzüge, die parallel nicht mal 200m Meter voneinander getrennt vom Meer landeinwärts verlaufen.  Die Ramblas sind der typische katalanische Flanierboulevard der ortsansässigen Bevölkerung mit seinen Straßencafés und unzähligen Restaurants, wo Kellner sich ständig zwischen Fahrradfahrern und Fußgängern ihren Weg bahnen. Während die schmale autofreie Carrer Marià Aguiló mit ihren kleine Läden für den täglichen Bedarf, Boutiquen und Cafés Nähe und Vielfalt ausstrahlt.

Wer genug gegangen ist und trotzdem noch Bilder von diesem Viertel und auch den anliegenden von Barcelona auf eine nachhaltige Weise mitnehmen möchte, kann dies auf 2 Weisen tun:

Die Buslinie H16 ist die erste voll elektrisierte Linie der Stadt  : Wie geräuschlos gleitende Raumschiffe schlängeln sich die langen Gelenkbusse durch die Anrainerstraßen immer in Reich- und Fühlweite des Meeres.

Während eine andere ökologische Alternative die Trambahn auf der berühmten Diagonal Poblenou mit anderen Stadtteilen Barcelonas verbindet.

Und das Besondere, beide haben einen gemeinsamen Anfangs- oder Endpunkt, den Parc del Forum und Platja (Strand) del Forum, wo sich auch eine elektrische Ladestation für den Bus befindet. 

Graffiti - noch gibt es genug Mauern und Wände

Graffiti ist eine Herzensangelegenheit dieses Viertels. Damit sind die aktuellen Generationen groß geworden und hier war einer der ersten Brennpunkte in Spanien, als die Strassenkunst nach Europa rüberschwappte.

Freie Wände gab es im Überfluß und verbunden mit einer toleranten Stadtregierung und einer offenen Bevölkerung hat ein vorher eher oft grau wirkende mit viel Patina angesetzte Industrie- und Gewerbslandschaft Farben dem Strassenbild zurückgegeben. 

Berühmte internationale Graffiti Künstler ließen sich zeitweise in Barcelona nieder und inspirierten eine neugierige lokale Kunstszene zur Nachahmung.

Manche berühmte Werke leben nur noch in der Erinnerung weiter. Museen, Bücher und digitale Archive garantieren ein Überdauern.

 

Auch das Nachtleben und die Kultur benutzt diese Kunstform....

Die Clubszene ist (noch) vielfältig. Musikclubs, wo sowohl die nationale als auch die internationale alternative Musikszene gastierte, fanden hier in diesen verlassenen Fabriken ihr Zuhause. Die letzten 20 30 Jahre waren goldene Zeiten bis dann jetzt sowohl mit Corona als auch die Baupläne der Stadt in Verbindung mit grossen internationalen Investoren diesem besonderen Charme den Garaus machen. Musikstudios, Proberäume, Produktions- und Plattenfirmen zusammen mit den Liveclubs – es ist ein Kampf ums Überleben.

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und die Graffitikünstler sind die modernen Indianer.....

Wer sein Graffiti auf einem Bauzaun darstellt, weiß von Beginn über die Vergänglichkeit und Kurzlebigkeit seiner Werke. 

Einen Spiegel vorhalten auf diese Entwicklung, und gleichzeitig cool die Ausweglosigkeit dieser Situation gegenüber den übermächtigen internationalen Konzernen zu illustrieren, ist hier exemplarisch gelungen.

Auch wenn es nur noch Rückzugsgefechte der Graffitiszene hier ausgekämpft werden. Denn in dieser neuen Welt wird auch für diese Art Kunst kaum noch Platz haben.

Es werden ihnen nur noch Reservate zugeschrieben, oder sie arbeiten direkt für das früher als Establishment verachtete mit Auftragsarbeiten oder auch im etablierten Kunstbetrieb für Galerien und Museen in einer kulturellen Nische. Die einstige Gegenkultur geht auch hier den Weg durch die Institutionen.

Das ist dann die schöne neue Welt....

Was am Anfang in den letzten Jahrzehnten zunächst noch spannend und lebendig wirkte, dieses Modell des @22 , einem IT – Viertel das hip und cool war, und mit kreativer Kraft viele dieser im Tiefschlaf liegenden Industrieanlagen zu neuem Leben erweckten …Dann mit dem Niedergang vieler dieser Produktions-zweige ließen sich neue Berufsgruppen nieder und vielen dieser alten Gebäude wurden einer neuen Nutzung gegeben in einer veränderten modernen Gesellschaft. 

Aber die neuen Planungen lassen die Bewohner als auch die umtriebene fruchtbare Szene erschauern.  In Windeseile werden ganze Straßenzüge und Quartierblocks dem Erdboden gleich gemacht, um einem neuen kalten Urbanismus Platz zu machen. Für das alte Gewachsene scheint kein Platz mehr zu sein. Das Subversive, die Gegenkultur haben ihre Heimat verloren.

Poblenou als Paradigma einer umwälzenden Stadtentwicklung die viele Alteingesessene und sensible Zugereiste den Atem wegnimmt.

Poblenou, ein Spagat zwischen Avantgarde und Tradition

Bei dieser umwälzenden Neugestaltung des Viertels verleiht Barcelona als kulturaffine Stadt Einrichtungen wie Universitäten, Museen oder Theater eine große Bedeutung.  

Foto: Museu de Disseny

Kontrastprogramm Meer

 Eigentlich ist das Meer immer anwesend, so nah ist es, wo auch immer man sich in diesem Viertel aufhält. Wer von daher am Morgen der Sonne nachgeht, findet sich bald vor dem Meer. Am Nachmittag lässt Du die Sonne auf der rechten Hand und gehst nur immer gerade aus auf einer der vielen Straßen, die schachbrettähnlich das Viertel durchziehen. Bei circa 300 Sonnentagen im Jahr ist dies ein verläßliches Maßinstrument, um sich geographisch zu orientieren.

Wer genug Stadt, genug Asphalt und Häuserschluchten hat, wer dann Horizont und Weite genießen will, kommt sogar zu Fuß in höchstens 15 Minuten aus jeder Ecke des Viertels an den Strand. Einem weiten, offenen gepflegten Sandstrand, hinter dem sich eine schöne autofreie Promenade erstreckt. Immer wieder versetzt mit Park- und Grünanlagen zwischen Meer und Stadt einen befriedeten Raum anbieten. Und auch so gestaltet, daß sportliche Aktivitäten jeder Art ermöglicht.  

Ja, Poblenou hat viele Gesichter. Hier die verspielte Mischung aus Venice und Santa Monica, aber immer doch auch mit einem europäischen “down to earth spirit”.

Wie all diese Veränderungen ausgehen werden? Fragen Sie die Menschen dort...

Wo geht die Reise hin? Da gehen die Meinungen diametral auseinander. Ob Sie jemanden fragen, der schon immer hier wohnte, oder einen der Zugereisten. Vielleicht jemanden der hier zum Arbeiten jeden Tag ins Viertel kommt oder in einem der Nachbarvierteln von Barcelona wohnt und hier neue Impulse sucht? Wahrscheinlich wird dir jeder etwas anderes sagen.

Nur eines ist sicher, die Veränderungen, die Umwälzungen sind wohl kaum aufzuhalten. Auch wenn es Initiativen gibt, die diesen verzweifelten Kampf führen.

Ein paar Adressen...

Regional und saisonal essen gehen

Sopa,  Carrer de Roc Boronat, 114   –  vegetarisches Café und Restaurant mit überwiegend auch biozertifizierten Produkten     

Market Cuina Fresca, Carrer de Badajoz, 83   –  3 portugiesische Chefs, die seit Jahren hier eine geradlinige Küche aus hochwertigen Gemüse einer biologisch zertifizierten Farm aus dem direkten Umland Barcelonas beziehen.

El Quinto,  Carrer de Pallars, 173    –    ein sympathisches Café – Galeria und Restaurant mit kleiner Terrasse, das Mittagstisch serviert mit ökologischen Zutaten. Haben auch vegane Speisen im Angebot.

Enoteca, Hotel Arts, Carrer de la Marina, 19-21 –  Die 2 Sterne Michelin Küche von Paco Pérez verbindet in einer klar auf Regionalität gesetzten Küche das Meer mit Ausgewähltem der besten Gemüsegärten des Umlandes von Barcelona. Mit Blick über Barcelona und das Meer.

 

vegan und vegetarisch und bio EINKAUFEN

Meva Vida,  Carrer de Ramon Turró 201  –    Ein Muss für jeden Biogourmand. Hier gehen Regionalität und Qualität des Produktes Hand in Hand. Ohne Schnickschnack authentisch, ausgewählte kleine Produzenten und Bauern. Große Auswahl saisonaler Früchte und Gemüse.

La Graneria del Poblenou, Carrer Pujades 188 – ein authentischer Unverpackt-Laden, auch mit Wein und Vermut direkt vom Fass.

Cal Veganic, Carrer de Llull 141  –    ein veganer gut bestückter Laden, Inhabergeführt, mit Fachkenntnis beraten. Überwiegend biozertifiziert.  Viele Fertigprodukte von renommierten Marken aus aller Welt.

BÄCKEREI

Trigo, Carrer de Marià Aguiló, 88  –  Original italienisches Flair, mit der Backstube im Hinterzimmer

Baluard, Carrer de Marià Aguiló, 51 – Große katalanische Backkunst

Turris, Rambla del Poblenou, 124  –   Ein Klassiker in Barcelona

Mayer, Rambla del Poblenou, 36 –  ein Franzose aus Paris in Barcelona

Santanach, Rambla del Poblenou, 98 –  einer der schon immer da war. Die Einheimischen schwören auf ihn.

Live Clubs und Nightlife

Balius,   Carrer de Pujades, 196                      –            Coctail Bar mit guter Musik, Tapas nach Slow Food Kriterien, auch interessante alkoholfreie Drinks. Live Jazz on Sundays…

Sala Boveda,     Carrer roc boronat 33        –           Live Musik Club,  Alternative bis Metal

Sala Vol, Carrer de Sancho de Ávila, 78       –          kleiner Liveclub, Indie bis Alternative, auch lokale Szene

Sala Wolf, C/ dels Almogàvers, 88                –          Parties, Dance DJs und Live Music, Alternative

Sala Razzmatazz,  C/ Pamplona 88               –        ehemals das unvergessene „Zeleste“, einer der großen Konzertclubs Barcelonas, 3 verschiedene Säle, von Dance / Djs bis Rock / Pop über Hard bis Alternative

Postscriptum

In der Reihe “BLICKPUNKT…”  finden Sie keine Geheimtipps. Es sind Adressen, die im Prinzip jedem Einheimischen zur Verfügung stehen.

Wir möchten mit unserem Guide nicht dazu beitragen, dass sich neue Völkerwanderungen in diese von uns vorgeschlagenen Orte und Plätze aufmachen. Gentrifizierung ist für uns eine schändliche Entwicklung, die wir hoffen nicht mit unseren hier preisgegebenen Adressen zu beschleunigen. Es ist gedacht für Menschen, die mit Respekt auch als Reisende auftreten. 

Außerdem möchten wir Initiativen fördern, die uns wichtig und spannend erscheinen und deren Existenz natürlich gerade in diesem Randbereich zur Avantgarde immer bedroht sind und von daher auch gern Unterstützung annehmen.

Text und Fotos:
Michael Statsmann
Fotos ©all rights reserved

Disseny:  dona lliure

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